Interview mit Susanne Pavlovic

Interview Susanne Pavlovic

Susanne Pavlovic, die „Textehexe“, ist eine erfahrene Lektorin und arbeitet schwerpunktmäßig mit Selfpublisher*innen. Sie hilft ihnen dabei, Geschichten runder, griffiger und packender zu machen. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie sich bereit erklärt hat, all jene Fragen zu beantworten, die euch als Autorinnen und Autoren beschäftigen.

Welche Fragen werden dir am häufigsten gestellt, wenn Autor*innen dich für ein Lektorat anfragen?

Was kostet das, wie lange dauert das, und wie geht das? Ungefähr in dieser Reihenfolge.
Im Lektorat gibt es wenig Verallgemeinerbares. Jedes Projekt ist anders, und unterschiedlich aufwendig. Ich kann also nicht auf meine Webseite schreiben, kostet drölf Euro, dauert fuffendaddich Stunden. Dafür wird auch jedes Projekt individuell angeschaut und eine maßgeschneiderte Lösung dafür gefunden. Also – nicht nur ich arbeite so. Alle guten, seriösen Kolleg*innen, die ich kenne, machen das. 

Was bedeutet es genau, wenn du ein „Korrektorat“ meines Textes machst?

Nach dem Korrektorat ist der Text exakt der gleiche – nur ohne die Fehler. Korrektorat kommt ganz am Schluss, wenn alle sich sicher sind, dass sie an diesen Text nie wieder auch nur ein Sterbenswörtchen ändern wollen. Korrektorat ist sozusagen der Blick durchs Mikroskop – die Korrektorin kriegt wenig von den großen Zusammenhängen mit, aber sie kennt danach jedes Komma und jedes Gänsefüßchen persönlich. 

Dann gibt es ja noch verschiedene Arten von Lektorat. Was sollte ich dazu wissen?

Die meisten Autor*innen wissen bei der ersten Kontaktaufnahme noch nicht, was sie brauchen. Manche haben eine vage Ahnung – ist irgendwie noch nicht so richtig spannend, könnte man kürzen, aber was bloß – manche verschätzen sich auch völlig. Es passiert mir mit großer Regelmäßigkeit, dass Autor*innen mich anrufen und mir begeistert erzählen, ihr Text sei total rund, nur mit den Kommas würde es hapern – und dann gucke ich in den Text rein und denke, joah, also, Kommas sind jetzt nicht dein größtes Problem …
Grob unterscheiden wir zwischen strukturellem Lektorat und Sprach- und Stillektorat. Bei ersterem schauen wir uns den Inhalt an; sind alle Konflikte gut aufgebaut? Alle Figuren am Schluss gut aufgeräumt? Alles logisch? Sind die Figuren authentisch gestaltet? Außerdem gehen wir ans Erzählhandwerk – ist genügend Spannung da? Tempo an den richtigen Stellen? Wie werden die Dialoge gehandhabt?
Im Sprach- und Stillektorat sollten die größeren Umbauten bereits erledigt sein – da feilen wir an Wortschatz und Eleganz, kürzen, dünnen Lieblingsfloskeln aus, machen auf Wortwiederholungen aufmerksam und sorgen dafür, dass sich die Strahlkraft der Sprache bestmöglich entfalten kann. 

Ist im Lektorat auch immer ein Korrektorat enthalten?

Nein – zumindest keines, was den Namen verdient. Selbstverständlich machen wir Fehler raus, die uns vor die Nase laufen. Aber ein anständiges Korrektorat drückt die Fehlerrate unter die Wahrnehmungsschwelle des Lesers, und das ist nicht zu machen, wenn man gleichzeitig auf Inhalt oder Stil geachtet wird. Ich kann ein Ding auch nicht gleichzeitig mit dem Mikroskop und im Weitwinkel-Zoom anschauen – so darf man sich das vorstellen. 

„Lektor“ und „Lektorin“ sind ja keine geschützten Berufsbezeichnungen. Worauf sollte ich als Autor*in achten, wenn ich ein qualitativ hochwertiges Lektorat meines Textes suche? Gibt es sozusagen ein „Qualitätssiegel“? Wie würdest du als Autor*in bei der Suche vorgehen?

Eines der wenigen Qualitätssiegel, die wir haben, ist die VFLL-Mitgliedschaft. Vor der Aufnahme wird geprüft, ob das Auftreten professionell ist, Berufserfahrung vorhanden, und ob das Lektorat mehr ist als nur ein Nebenjob. Wer in der Datenbank www.lektoren.de geführt wird, ist also jedenfalls schon mal ein Profi. Für Autor*innen bleibt dann, die Datenbank nach dem/der richtigen Lektor*in zu durchforsten (es gibt da eine sehr gute Filterfunktion).
Eine „gute Adresse“ zeigt sich für Autor*innen an einer gepflegten Webseite und guten Kontaktmöglichkeiten. Es sollte eine individuelle Beratung erfolgen. Der Preis sollte nicht zu niedrig sein: Seitenpreise von ein, zwei Euro sind unrealistisch und zeugen entweder von großem Unwissen oder von großer Verzweiflung.
Viele Autor*innen holen sich Empfehlungen von Kolleg*innen. Im Zweifelsfall können sie auch um eine kleine Arbeitsprobe bitten oder erst mal einen Textausschnitt fürs Lektorat beauftragen, um zu sehen, ob sie mit dem Input etwas anfangen können. Denn Expertise ist das eine – aber es muss auch die Chemie stimmen.

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Gibt es Preislisten, an denen ich mich als Autor*in orientieren kann?

Keine offiziellen. Jede/r Lektor/in schnürt die Leistungspakete ein bisschen anders. Seitenpreise (Normseite, 1500 Zeichen) zwischen 4 und 6 Euro plus Mehrwertsteuer sind üblich. Wer drunter liegt, muss einen guten Grund haben – wer drüber liegt, auch. Letztendlich führen die Seitenpreise dann auf einen Stundensatz, der sicherstellen muss, dass ich am Ende des Tages davon leben kann.

Warst du schon immer Lektorin?

Eigentlich ja, ich habe mich nur nicht immer so bezeichnet. Während meiner Studienzeit habe ich viel geschrieben und war in studentischen Literaturkreisen aktiv, wo ich Lektoratsarbeit mit Bleistift am Textrand gemacht habe. Später habe ich mich viel in der Fanfiction-Szene bewegt, selber geschrieben, aber auch die Texte von ehrgeizigen Kolleginnen kritisch gelesen. Dann habe ich meine Dienste ein paar Jahre lang nebenberuflich angeboten und dann 2012, als das digitale Selfpublishing „erfunden“ wurde, alles auf eine Karte gesetzt und mich selbständig gemacht. 

Was würdest du heute anders machen?

Tatsächlich – nichts. Ich liebe es, mit Selfpublisher*innen zu arbeiten, und dieses Arbeitsfeld existiert erst seit 2012. Ich habe vorher sehr viel geschrieben, sehr viel davon für die Schublade – eine gute Übung. Ich habe verschiedenste Gruppen unterrichtet – meine pädagogische Ausbildung kommt mir jeden Tag zugute. So hat eins zum anderen geführt. Ich habe wunderbare Partner*innen wie den Uschtrin Verlag (die tollen Fachzeitschriften „Federwelt“ und „der selfpublisher“), das Team von tolino Media, für die ich immer mal Workshops halten darf, oder das sehr spannende Startup „Qualifiction“ (eine Software zur Textanalyse und Markteinschätzung). Viele dieser Partnerschaften existieren seit Jahren. Die Buchwelt ist voller großartiger, buchbegeisterter Menschen. Natürlich hab ich auch dies und das probiert und nicht alles war ein Knaller – aber gelernt hab ich immer was. 

Was sollte deiner Meinung nach jemand mitbringen, der Lektorin werden möchte?

Freundlichkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen.
Erstaunlich vielleicht, dass ich nicht sage: ein Germanistikstudium, Verlagserfahrung, Branchenkenntnis (wobei das alles nicht schaden kann). Natürlich brauche ich auch einen scharfen Blick für den Text und muss Schreibtechniken virtuos beherrschen – aber all meine Expertise nützt mir nichts, wenn ich sie meinem Autor, meiner Autorin nicht vermitteln kann. Im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit steht immer die Autorenpersönlichkeit. Ihm oder ihr muss ich meine Analysen und Verbesserungsvorschläge so aufbereiten, dass er / sie in der Lage ist, den Input umzusetzen und den Text wirklich zu optimieren. Und das gilt gleichermaßen für belletristische Texte wie für Sachbücher. Vielleicht für Belletristik ein bisschen mehr, weil belletristische Autor*innen sich als Kunstschaffende verstehen, während Sachbücher oft aus praktischen Beweggründen heraus entstehen.
Ich muss also in der Lage sein, Autor*innen richtig einzuschätzen – ihre Ausdrucksformen, ihre Arbeitsweise, ihre „Schmerzgrenzen“. Nur dann kann ich eine Beratung leisten, die auch wirklich ankommt.
(Im Übrigen kann ich mein Wissen aus dem Germanistik-Studium kaum jemals anwenden – das ist einfach ein nettes Gimmick.)

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Als ich vor etwa 25 Jahren meine erste Stelle in einem Verlag antrat, gab es noch Kolleginnen und Kollegen, die wirklich von morgens bis abends nur Manuskripte und Druckfahnen lektoriert haben. Heutzutage vermischt sich das – vor allem in kleinen Verlagen – mit anderen Tätigkeiten, die oft das ganze Projektmanagement mit einbeziehen. Wie erlebst du das?

Ich schaue in große Verlage nicht rein, weil ich selten für die tätig bin. In kleinen Verlagen gibt es meist keine festangestellten Lektor*innen. Da hängten die Programmgestaltung, das Projektmanagement und alle anderen Aufgaben an der Verlegerperson. Lektorat wird an „Freie“ ausgelagert, ich komme da aber erst ins Boot, wenn der Entscheidungsprozess bereits abgeschlossen ist. Gelegentlich wird meine Expertise im Vorfeld eingeholt, da geht es dann aber eher darum, den Aufwand abzuschätzen, der für einen Text bis zur Veröffentlichung noch geleistet werden muss.
Im Selfpublishing sind solche Allround-Tätigkeiten ja Teil des Alltags. Selfpublisher*innen erfinden sich als „Marke“, betreiben Zielgruppenforschung, positionieren sich auf dem Markt, verstehen auch oft eine ganze Menge von Marketing – das Schreiben ist also längst nicht mehr deren einzige Beschäftigung. Wobei nicht der Eindruck entstehen soll, dass Verlagsautor*innen das nicht müssten – sie haben zwar den Vertrieb von der Backe, aber für ihre Bücher trommeln müssen sie auch. 

Viele deiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten „im stillen Kämmerlein“. Auf deiner Webseite www.textehexe.com zeigt sich ein anderes Bild. Oder täuscht das? Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Wir sind ein Mittelding zwischen stillem Kämmerlein und Großraumbüro  Dadurch, dass wir über die ganze Republik verstreut sind, sehen wir uns selten. Aber wir stehen in stetigem Austausch über alle Kanäle, die das Internet so zu bieten hat, halten regelmäßig Video-Meetings ab und treffen uns mindestens einmal im Jahr persönlich für ein ganzes Wochenende. Das macht uns von Einzelkämpferinnen zu Teamplayerinnen. Wir beraten und unterstützen uns gegenseitig, und unsere unterschiedlichen Spezialisierungen passen hervorragend zusammen.
Mein Arbeitsalltag besteht aus den immer gleichen Elementen, die ich jeden Tag anders anordne, je nach Priorität, Lust und Laune: Ich verbringe viel Zeit mit dem Beantworten von Mails. Natürlich lektoriere ich. Ich nehme Telefontermine wahr, berate Autor*innen oder spreche ihre Texte mit ihnen durch. Dann fallen Dinge an wie Pflege der Webseite, Vorbereitung von öffentlichen Auftritten, online oder vor Ort, bisschen Social Media, und außerdem schreibe ich ja noch selbst Bücher und versuche, mindestens einmal im Jahr zu veröffentlichen.
Man könnte sagen, ich sitze viel  Zum Glück muss mein Hund regelmäßig raus und sorgt so für frische Luft und Hirnerholung. 

Was macht dir an deinem Beruf am meisten Spaß? Oder anders gefragt: Was macht dir gar keinen Spaß?

Tatsächlich liebe ich diesen Augenblick, wenn ich den Textanalysen-Laserblick anwerfe, und es macht so „klick“ und ich sehe die Struktur hinter dem Text, sehe, wie der „tickt“, was großartig ist, was noch Potential hat – das ist immer, als würde ich ein Rätsel lösen oder als würde das letzte Puzzlestück perfekt an seinen Platz passen. Und dann der Augenblick, wenn ich eine wirklich gute Idee habe und denke, damit kann ich dem/der Autor*in richtig Schub geben. Ich plotte richtig gerne. Mit Ideen jonglieren, Plots „aufräumen“, Knoten lösen, am liebsten mit dem/der Autor*in zusammen, da laufe ich zur Höchstform auf.
Nicht so gerne: Ich korrigiere nicht sehr gut. Also, ich weiß schon, wie man alles schreibt, aber ich sehe die Fehler im Text nicht so gut, weil ich zu gerne auf der Inhaltsebene rumhänge. Zum Glück habe ich zwei Kolleginnen, die gerne Korrektorate übernehmen.
Und Buchhaltung. Rechnungen, Steuerkram. Aber wer macht das schon gerne.

Wo arbeitest du? Brauchst du Ruhe oder sitzt du im Café? 

Ich brauche schon Ruhe. Ich habe einen Heimarbeitsplatz, aber in meiner Wohnung nicht die Möglichkeit, ein eigenes Büro einzurichten. Deshalb habe ich vor einigen Jahren eine kleine Ladenfläche in der Innenstadt angemietet und mir da ein kleines Büro und Mini-Seminarraum eingerichtet. Da ist es wirklich still, und wenn ich das Handy auf Flugmodus stelle, stört mich da niemand. 

Welchen Tipp würdest du jemandem geben, der noch nie ein Buch geschrieben hat, jetzt aber endlich loslegen möchte?

Bitte überleg dir zuerst, ob du das Buch nur für dich schreiben willst, oder ob du es veröffentlichen willst. Falls letzteres, mach bitte nicht einfach 600 Seiten voll. Befasse dich vorher mit dem Schreibhandwerk, schaff dir Erzähltechniken drauf. Plotte deine Geschichte (also, plane sie durch). Mach dir Gedanken über Genre und Zielgruppe. Schau dir an, welche Bücher gerade erfolgreich sind, in deren Nähe du deine Buchidee einordnen würdest. Schreiben hat genauso viel mit Handwerk und äußerer Form zu tun, wie mit Sprachgefühl und Kreativität.

 

Urhebernachweis für Foto: ©Nina Thilo, Fürth

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