So besiegst du den inneren Kritiker

Inneren Kritiker besiegen

In einem Schreibseminar im Frühjahr lernte ich Leandra kennen. An unserem ersten Seminartag war sie mit Feuereifer bei der Sache, erzählte von ihren Coachings und wie zufrieden ihre Kundinnen waren, sie entwarf zügig ein vorläufiges Inhaltsverzeichnis und machte sich Gedanken über den Buchtitel. Sie wollte endlich ein Buch haben, dass sie ihren Kundinnen an die Hand geben konnte. Es war deutlich, dass sie schon lange über „ihr“ Thema schreiben wollte und nur einen Rahmen (wie zum Beispiel ein Schreibseminar) gebraucht hat, um vom Träumen und Nachdenken ins Tun zu kommen. Leandra war in ihrem Element, sie strahlte.

Der innere Kritiker meldet sich

Eine Woche später, an unserem Folgetermin, erlebte ich eine ganz andere Leandra. Mit hängenden Schultern sagte sie: „Das Buch wird niemand lesen wollen. Ich bin zwar eine gute Coachin, aber schreiben kann ich nicht. Das war eine blöde Idee, das mit dem Buch. Es ist auch viel zu viel Arbeit, das kann ich nicht auch noch unterbringen. Ich habe mir wirklich überlegt, ob ich heute überhaupt noch kommen soll.“

Ich habe das schon sehr oft erlebt. Auf die anfängliche Euphorie folgt der Sturz in ein Loch. Selbstzweifel und Angst vor dem „Arbeitsberg“ drohen ein lohnenswertes Projekt auszubremsen. Das lasse ich natürlich nicht zu. In meinen Seminaren geht es immer auch darum, sich als Autor*in zu finden, Selbstvertrauen aufzubauen und durchzuhalten. Deswegen bat ich sie, der Gruppe und mir etwas von dem vorzulesen, was in den letzten Tagen entstanden war. Was soll ich sagen? Es war kompliziert und voller Fremdwörter. Die Sätze waren voll gepackt mit Informationen. Nach kurzer Zeit hatte ich den Faden verloren.

Leandra sah erwartungsvoll und ängstlich zugleich in unsere Gesichter. Eine Teilnehmerin sprach aus, was wir alle dachten: “Das ist schwierig zu verstehen. Und das bist doch gar nicht du. So sprichst du doch gar nicht.” Leandra nickte und fiel noch mehr in sich zusammen. Dann blickte sie zu mir herüber.

Schreiben ist ein Handwerk

“Schreiben ist in erster Linie ein Handwerk”, fing ich an, “und es hat sehr viel mit Übung zu tun. Vermutlich hast du seit der Schulzeit keinen längeren Text mehr verfasst. Da ist doch klar, dass man da erst wieder reinkommen muss. Wenn dann noch Schreibtalent dazu kommt, umso besser. Es gibt da jedoch meines Erachtens noch ein anderes Problem: Du denkst, du müsstest dein Buch mit Fremdwörtern spicken, damit er “etwas wert ist”. Du glaubst, du müsstest so schreiben, damit die Leute dich ernst nehmen und sagen: ‘Boah, die kennt sich richtig gut aus.’ “

Es ist gut zu wissen, dass selbst sehr erfolgreiche Autor*innen immer wieder mit dem inneren Kritiker kämpfen. Der innere Kritiker ist mächtig. Er sagt voraus, dass deine Freunde hintenrum über dich reden werden, und sagen, das Buch sei schlecht. Er verweist auf deine schlechten Deutschnoten in der Schule. Er droht damit, dass niemand das Buch kaufen wird, wenn du es nicht “noch besser” machst. Er sagt, dass andere auf jeden Fall geeigneter für solch ein Buchprojekt sind. Er mahnt, dass du erst noch eine spezielle Ausbildung machen solltest. Er zeigt auf die unzähligen Neuerscheinungen pro Jahr, in denen dein Buch schlichtweg untergehen wird.

Inneren-Kritiker-besiegen

Den inneren Kritiker ausschalten?

Diesen inneren Kritiker kann man nicht ausschalten. Was aber funktioniert: Negative Glaubenssätze durch positive Glaubenssätze ersetzen. Deswegen fragte ich Leandra, was ihre Kundinnen an ihr schätzen. “Dass ich sie verstehe, dass ich ihnen ganz praktische Hilfestellung geben kann, dass sie beflügelt aus unseren Sitzungen herausgehen.” Ich machte Leandra folgenden Vorschlag: “Dann schreib jetzt bitte so, als ob du mit einer Kundin sprechen würdest. Such dir ein bestimmtes Thema, ein Problem aus, und erzähl die Lösung.”

Was die Gruppe dann zu hören bekam, war Leandra “live”. Es war gut, es war persönlich, es war spannend, und wir waren uns alle einig, dass Leandra auf jeden Fall weitermachen sollte. Es kostet Mut, sich zu trauen, im eigenen Stil zu schreiben, aber die Leser*innen wissen das zu schätzen. Leandras O-Ton ist genau das, was ihr Buch braucht. Ihre Kundinnen wollen “ihre Leandra” lesen, wenn sie ihr Buch kaufen.

Leandra beschriftete im Seminar noch ein Post-it, um den Zettel zuhause an ihren Bildschirm zu kleben. ‘Ich bin gut genug’, stand darauf.

Wenn du dich jetzt fragst, wie du zu deinem O-Ton findest, zu deinem persönlichen Schreibstil, dann kannst du folgendes probieren: Mit der Diktierfunktion kannst du deinen Text erstmal sprechen, danach schreibst du ihn auf. Du wirst schnell Übung darin bekommen, in diesem, deinem eigenen Stil, weiterzuschreiben.

In diesem Sinne: Schreib dich glücklich!

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